Damit dir nichts mehr französisch vorkommt

Bild: Alexander Eugster, Nizza 2017

Der obligatorische Französischaufenthalt gehört neben der Einführung von iPad-Klassen zu den grösseren Änderungen der letzten Jahre an unserer Schule. Doch was steckt eigentlich hinter dem Projekt? Französischlehrer und Mitorganisator Patrick Rugo erklärt, was man schon immer wissen wollte – und warum ihm eine flexible Lösung vorschwebt.

Herr Rugo, wie ist der obligatorische Französischaufenthalt zustande gekommen?

Die Grundidee des Sprachaufenthaltes war es, den Schülerinnen und Schülern reale Begegnungsmöglichkeiten in einem authentischen Sprachraum zu bieten. Die französische Sprache ist Teil der frankophonen Kultur und beschränkt sich nicht nur auf ein Schulfach in einem Schulzimmer. Der Kontakt zu dieser Kultur ist im Gegensatz zum omnipräsenten Englisch nicht selbstverständlich. Die Schülerinnen und Schüler sollen positive Erfahrungen in der Praxis mit der französischen Sprache machen. Daraus ergab sich der erste Sprachaufenthalt Französisch, der auf freiwilliger Basis im Sommer 2013 durchgeführt wurde. In den darauffolgenden Jahren stiegen die Anmeldezahlen an und es wurden weitere Projekte in diesem Bereich aufgegleist. Wir erhielten sowohl seitens der Schülerinnen und Schüler als auch seitens der Eltern positive Rückmeldungen dazu. Zudem machten sich zum Teil enorme Fortschritte bei den Schülerinnen und Schülern bemerkbar. Auf dieser Grundlage wurde das Sprachaufenthaltsprojekt stetig weiterentwickelt und im Schuljahr 2017/18 im Rahmen des neuen BU-Konzepts schliesslich als Obligatorium eingeführt.

Wäre der Französischaufenthalt in einer höheren Klasse – zum Beispiel in der 3. Klasse – nicht sinnvoller?

Das neue BU-Konzept sieht auf jeder Klassenstufe ein anderes Projekt vor. Aus fachlicher Sicht musste das Schwerpunktfach so spät als möglich platziert werden, weswegen es in die 3. Klasse gelegt wurde. Auf der 2. Stufe gab es bereits den obligatorischen Sprachaufenthalt Englisch für bilinguale Klassen, was weiter bestehen bleiben sollte. Dieser Aufenthalt ist für alle anderen Klassen fakultativ und musste folglich in dasselbe Zeitfenster passen. Somit blieb für den Französischaufenthalt noch die 1. Klasse. Daran lässt sich momentan leider nichts ändern. Es gibt aber Bestrebungen unsererseits, den Französischaufenthalt später absolvieren zu lassen. Somit wären unsere Schülerinnen und Schüler etwas älter und hätten ganz andere Möglichkeiten wie zum Beispiel eine Studienwoche an der EPFL oder Praktika in einer Unternehmung. Mir persönlich würde eine flexible Lösung vorschweben, die es jeder Schülerin und jedem Schüler erlauben würde, den Zeitpunkt des Aufenthaltes individuell bestimmen zu können. Vielleicht ergeben sich mit dem «Gymnasium der Zukunft» diesbezüglich neue Möglichkeiten.

Schüler erwähnten, dass sie nicht viel Französisch gelernt hätten in zwei Wochen. Weshalb hält man trotzdem noch am aktuellen Konzept fest?

«Erwähnungen» sind nicht fundiert und wenig differenziert. Wir nehmen die Rückmeldungen unserer Schülerinnen und Schülern aber sehr ernst und führen auf verschiedenen Ebenen Feedbacks dazu durch. Wenn wir negative Kritik erhalten, reagieren wir sofort darauf und versuchen, die entsprechenden Projekte zu verbessern bzw. Alternativen dafür zu schaffen. Eine häufige Rückmeldung betrifft beispielsweise die Dauer. Viele Schülerinnen und Schüler empfinden die Dauer als zu kurz, weil sie bereits wieder nach Hause müssen, sobald sie sich am neuen Ort eingefunden und eingelebt haben. Sprachlich würden sie wahrscheinlich genau ab jenem Zeitpunkt am meisten vom Aufenthalt profitieren. Wir möchten jedoch nicht alle unsere Schülerinnen und Schüler dazu verpflichten, einen (mehr-)monatigen Französischaufenthalt zu absolvieren. Aus diesem Grund haben wir uns auf die Dauer von zwei Wochen geeinigt. Bezüglich sprachlichem Profit versuchen wir unseren Schülerinnen und Schülern vor dem Aufenthalt jeweils zu erklären, dass der Erfolg in ihren Händen liegt. Wir können sie nicht kontrollieren und dazu zwingen, Französisch zu sprechen und etwas zu lernen, sie müssen bereit sein, dies in Eigenverantwortung zu tun.

Weshalb mutet man den Eltern finanziell einen solchen Aufenthalt zu? 

Was in deinen Augen eine Zumutung darstellt, stellt für andere eine Gelegenheit dar. Eine Gelegenheit, den persönlichen Horizont und die sprachlichen Kenntnisse zu erweitern. Abgesehen davon haben wir in den letzten Jahren sehr viele neue Projekte generiert, die für die Familien keine finanzielle Belastung bedeuten. Natürlich gibt es die Möglichkeit, eine Sprachschule zu besuchen, was eine eher teure Variante des Sprachaufenthaltes darstellt. Daneben bieten wir aber auch schulinterne Projekte an, die beinahe kostenneutral sind, sowie individuelle Lösungen, die sehr kostengünstig und vielversprechend sind.

Was denken Sie, wieso gilt Französisch bei vielen Schülern als unbeliebt?

Das hat wohl verschiedene Ursachen. Die französische Sprache scheint bei unseren Schülerinnen und Schülern bereits auf tieferen Schulstufen keine Begeisterung zu wecken. Dazu kommt noch die Komplexität der Sprache, die verglichen mit Englisch natürlich höher, im Vergleich zu Deutsch aber ganz klar geringer ist. Daraus ergibt sich ein hartnäckiges Ressentiment, das wir dann auf Gymnasialstufe versuchen zu korrigieren. Zudem ist dies wohl ein geografisch bedingtes Phänomen. Die Distanz zwischen der Ostschweiz und der Frankophonie führt dazu, dass viele Leute keinen Sinn darin sehen, eine zusätzliche Sprache zu lernen, die man in der Ostschweiz nicht unbedingt braucht. Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sollten meiner Meinung nach jedoch genug Weitsicht und Offenheit mit sich bringen, um diese eingeschränkte Sichtweise abzulegen, auch wenn sie teilweise noch vom Elternhaus vorgelebt wird. Schliesslich wird sich ihr künftiges Leben (hoffentlich) nicht nur auf die Ostschweiz beschränken.

Was würden Sie gerne am Sprachaufenthalt und seiner Durchführung ändern?

Mir wäre es ein Anliegen, individuelle Projekte auf allen möglichen Schulstufen realisieren zu können. So wären z. B. Arbeitseinsätze oder Sprachdiplome viel einfacher und sinnvoller zu organisieren. Auch Projektwochen wie sie im alten BU-Konzept vorgesehen waren, würde ich nicht unbedingt ausschliessen. Da gäbe es sehr interessante Projekte. Weiter sollten wir vermehrt Austauschprogramme zwischen Schweizer Schulen fördern. Schülerinnen und Schüler, welchen Einblicke in eine andere Schule gewährt wurden, können sehr wertvolle Erfahrungen für ihr Leben sammeln.

Was würden Sie gerne am Image des Fach Französisch ändern?

Ich würde mir wünschen, dass unsere Schülerinnen und Schüler bzw. alle Jugendlichen die prinzipielle und meist unbegründete Negativhaltung gegenüber Französisch fallen lassen und versuchen, sich auf etwas Neues einzulassen. Eine Sprache zu lernen bedeutet auch, sich eine neue Kultur anzueignen. Wenn wir künftig nur noch utilitaristisch denken und uns auf ein Minimum an Sprachen beschränken, werden wir ein enormes Kulturgut verlieren, was vor allem in der mehrsprachigen Schweiz sehr bedauernswert wäre. Zudem kann ich das oft gehörte Argument, Französisch brauche man nicht, nicht gelten lassen. In der Schweiz ist es heute bereits so, dass vorhandene Französisch- bzw. Italienischkenntnisse in einem Bewerbungsverfahren ausschlaggebend sein können für eine Anstellung. Als letztes mir genanntes Beispiel wäre da die SBB: Deren interne Sprachregelung gibt vor, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Muttersprache ausdrücken sollen. Eine Deutschschweizerin bzw. ein Deutschschweizer muss folglich zwar nicht unbedingt Französisch oder Italienisch sprechen/schreiben können, aber zumindest verstehen, ansonsten entspricht die Person nicht dem Anforderungsprofil für eine leitende Position.

Welche Tipps haben Sie sowohl für den Aufenthalt als auch das Fach?

Bezüglich Aufenthalt wiederhole ich, was ich an den Informationsveranstaltungen jeweils sage. Jede Schülerin und jeder Schüler soll den für sie bzw. ihn passenden Aufenthalt wählen und die Gelegenheit nutzen, um etwas zu lernen. Wichtig ist dabei, an die Eigenverantwortung und Selbstdisziplin zu appellieren. Die Schülerinnen und Schüler können und werden nur etwas lernen, wenn sie sich darauf einlassen und etwas lernen wollen. – Zum Fach möchte ich keine Tipps geben, weil Französisch wie gesagt nicht nur ein Schulfach ist, sondern eine Sprache, die Teil einer Kultur ist. Da diese frankophone Kultur auf der ganzen Welt vertreten ist, ist sie sehr vielfältig. Sie gehört aber auch zur Schweiz, genauso wie die schweizerdeutsche Sprache und Kultur.

Warum gibt es die BU eigentlich? Was wird in der BU alles angeboten? Und welche Klasse liefert den besten Schnappschuss? Im Rahmen einer mehrteiligen Serie setzt sich „kanti live“ mit der Besonderen Unterrichtswoche II auseinander.