Immer wieder kommen einem an der Kanti Gerüchte zu Ohren, die von einer eventuellen Neustrukturierung der Schwerpunkte berichten. In letzter Zeit haben diese Gerüchte allerdings immer mehr den Charakter handfester Überlegungen angenommen.
Aktuell sind Freifächer und Ergänzungsfächer die einzigen Gefässe, in denen der Klassenverbund aufgelöst wird und der Unterricht in schwerpunktübergreifenden Klassen stattfindet. Ansonsten findet man sich jederzeit unter „Gleichgesinnten“ wieder. Seit einigen Wochen wird jedoch vermehrt ein Konzept diskutiert, das vorsieht, die eigentlichen Klassen unabhängig vom Schwerpunkt zusammenzusetzen. Man würde dabei nur für gewisse Lektionen, in denen der Schwerpunktunterricht stattfindet, die Klasse verlassen. Dasselbe Prinzip wie beim Ergänzungsfach im vierten Jahr.
Es stehen sich dabei die Vor- und Nachteile einer Durchmischung von Charakteren und Interessen gegenüber. Da wäre zum einen die ewige Frage nach den fachspezifischen Stereotypen und den damit assozierten Klischees. Ob sie den Alltag an der Kanti bereichern oder nur noch Teil eines abgedroschenen Witzes sind, sei dahingestellt. Klar ist, dass sie im Falle einer Umstrukturierung obsolet würden. Der Matheschüler, der in seiner Freizeit Sudokus löst, der Wirtschaftler, der von seinen Eltern finanziert an der HSG landen wird oder die BG-lerin, die unter den gefärbten Haaren neben Kunstgeschichte nicht viel hat. Sie mögen eine Zeit lang unterhaltsam sein, doch nach einer gewissen Zeit kommen alle zum Schluss, dass diese Stigmatisierungen in keinster Weise der Realität entsprechen. Es ist auch gut vorstellbar, dass diese Einsicht ein gutes Stück früher eintreten würde, wenn man sich jeden Tag mit Schülerinnen und Schülern auseinandersetzt, die aus verschiedenen Schwerpunkten kommen.
Diese Durchmischung ist das meistgenannte Argument bei einer Diskussion der möglichen Vorteile. Es tut jedem Geist gut, sich mit Ideen und Ansichten zu konfrontieren, die in komplettem Gegensatz zu den eigenen stehen. Es gibt wahrlich wenig Argumente, die das in Frage stellen, jedoch überlegt man sich, zu welchem Preis dies geschehen soll. Welcher Teil der Aufgaben der Schule sind sozialer und welcher pädagogischer Natur? Und wo sind dabei die Unterschiede zwischen Primar-, Sekundar-, und Mittelschule?
Im aktuellen Lehrplan 21 des EDK werden diese Belange als überfachliche Kompetenzen zusammengefasst. Es wird dabei zwischen personalen, sozialen und methodischen Kompetenzen unterschieden. „Überfachliche Kompetenzen sind für eine erfolgreiche Lebensbewältigung zentral.“ schreibt der Kanton (Kanton St. Gallen, Lehrplan Volksschule). Die Schule ist auf dem Weg eines Kindes ins Erwachsenenalter eines der prägendsten Elemente und vor allem die Kanti als letzte Station vor der Entlassung in die Mündigkeit nimmt dabei eine spezielle Rolle ein. Soll heissen, dass die Schule neben ihren rein pädagogischen Aufgaben auch die Integration ihrer Schüler/-innen in die Gesellschaft fördern muss – eine Gesellschaft, in der man sich nicht immer unter Seinesgleichen und Gleichdenkenden wähnen kann.
Jedoch ist es offensichtlich, dass das Lernklima von Klasse zu Klasse variiert und dass diese Unterschiede oft vom Schwerpunkt abhängen. Beispielsweise ist das Unterrichtstempo einer Spanisch-Klasse in Französisch höher als das einer Mathe-Klasse, weil bereits eine gewisse Affinität für Sprachen vorhanden ist. Wären Klassen nicht nach gemeinsamem Schwerpunkt sortiert, würde dieser Vorteil verloren gehen. Für eine Naturwissenschafts-Klasse ist es wünschenswert, wenn in Physik oder Biologie ein strammes Tempo herrscht, da Talent meist auch mit grösserem Interesse dafür verbunden ist.
Allerdings könnte man damit eine andere ewige Diskussion zum ersten Mal vernünftig in Angriff nehmen. Es wäre zum ersten Mal realistisch, kantonal einheitliche Maturaprüfungen nach deutschem oder französischen Vorbild durchzuführen. Es wäre möglich, in allen Klassen einen genormten Lehrplan einzuführen und bis zum Ende der Kanti hin, könnte ein gleiches Leistungsniveau erreicht werden. Ob dieses Szenario wünschenswert ist, kann nicht mit endgültiger Sicherheit gesagt werden. Allerdings geht aus der Forschung hervor, dass eine Standartisierung des Unterrichts zumeist einen Leistungsabfall mit sich bringt. Auch in gewissen Teilen der Lehrerschaft herrschen Zweifel darüber, wie wünschenswert eine solche Einheitsmatura wäre. Anstelle von individuell auf Klassen abgestimmter Literatur und Themen, müsste in allen Klassen derselbe Stoff vermittelt werden.
Unabhängig von den psychologischen und didaktischen Überlegungen zu diesem System gibt es zwei Aspekte, die zwar rein praktischer Natur, aber nichtsdestotrotz relevant sind. Bis anhin war ein Wechsel des Schwerpunktfachs immer mit einem Klassenwechsel einhergegangen. Die damit verbundenen Überlegungen in puncto neue Kollegen, neue Lehrer und so weiter, würden die Entscheidung zukünftig nicht mehr beeinflussen, da es möglich wäre, den Schwerpunkt zu wechseln, ohne aus der bisherigen Klassengemeinschaft gerissen zu werden. Der zweite Punkt ist die Stundenplanung: Ob die Planung der Lektionen komplizierter oder einfacher würde, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden, da über einen definitiven Plan noch keine Details bekannt sind. Allerdings soll dieser Punkt keine Priorität gegenüber den pädagogischen Aspekten haben.
Wie weit die Umsetzung dieser Pläne schon vorangeschritten ist und wie genau die Schule nach einer solchen Umstrukturierung aussehen würde, kann im Moment auch von der Schulleitung nicht abschliessend beantwortet werden. Die Planung und Ausarbeitung wird auf kantonaler Ebene geregelt und die Schule hat darauf nur begrenzten Einfluss. Bekannt ist lediglich, was zum einen auf eidgenössischer Ebene im Rahmen des Projektes zur „Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität“ geplant wird und parallel dazu, für unsere Schule wohl aber relevanter, das kantonale Projekt „Gymnasium der Zukunft“. Die Kernkompetenzen, die für den Zugang zu allen Schweizer Hochschulen vorausgesetzt werden, sollen langfristig gewährleistet sein. Soll heissen, dass man Grundkenntnisse in Deutsch, Mathematik, Englisch und Informatik vorweisen können muss. Um unterschiedliche Wissensstände innerhalb einer Schule, aber auch im nationalen Vergleich vermeiden zu können, sucht man nach einer Organisation der Schulen, in der dies gewährleistet ist. Der wichtigeste Punkt dabei bleibt, dass der prüfungsfreie Zugang zu allen Schweizer Hochschulen bestehen bleibt.
Verschiedene Interessensgruppen stellen dabei Ansprüche. Die Universitäten und Hochschulen sind bemüht für ihre zukünftigen Studenten/-innen einen einheitlichen Wissensstand zu gewährleisten. Berufsverbände möchten eine Gleichheit zwischen gymnasialer und beruflicher Maturität sicherstellen. Bis letzte Woche fanden Anhörungen des Lehrerkollegiums statt und über das Projekt Gymnasium der Zukunft wird auf der Website des Kantons St. Gallen informiert.
Die Organisation erfordert selbstredend Zusammenarbeit auf vielen verschiedenen Ebenen und die Kanti hat dabei nicht viel Einfluss. Mit ersten Beschlüssen ist in näherer Zukunft nicht zu rechnen und die erste Maturaklasse im neuen System würde vermutlich erst gegen 2030 abschliessen. Man kann sich momentan also noch auf unser System einstellen und Änderungen würden frühestens nachfolgende Generationen betreffen.
Gymnasium der Zukunft:
https://www.sg.ch/bildung-sport/mittelschule/projekte/gymnasium-der-zukunft.html
Weiterentwicklung der gymnasialen Matura:
http://www.edk.ch/dyn/12475.php
Lehrplan 21 St. Gallen:
https://sg.lehrplan.ch/index.php?code=e|200|1