Klimakrise zu Coronazeiten

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Eingeschränktes Reisen, Maskenpflicht im ÖV, gestrichene Grossveranstaltungen und Kurzarbeit; dies ist nur eine kleine Zahl an Beispielen, welche die spezielle Coronazeit prägen. Das öffentliche Leben stand eine gewisse Zeit lang weitgehend still. Während diese Umstände die heutige Konsumgesellschaft zum Verzichten aufforderten und die Wirtschaft einen Einbruch erlitt, konnte die Natur für kurze Zeit aufatmen.

Während dieser Corona-Monate gab es im Verkehrsbereich eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen. In verschiedensten Städten konnte man dies deutlich an der verbesserten Luft- und Wasserqualität und beträchtlich weniger Lärm erkennen. «Geschichtlich gesehen ist diese Zeit mit reduziertem Betrieb jedoch nur ein Wimpernschlag.», so Marcel Gauch, der Nachhaltigkeitsdelegierte der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt). Ob dies auch das Klima prägen wird, hängt ausschliesslich von unserem zukünftigen Verhaltensmuster ab.

Im Moment liegt der Fokus auf der Eindämmung des Virus. In den Medien überschattet die Coronakrise die Klimakrise. Könnte dieses so existentielle Thema nun in Vergessenheit geraten? Laut Dr. Urs Neu, dem stellvertretenden Geschäftsleiter von ProClim (Forum für Klima und globalen Wandel) der SCNAT (Akademie der Naturwissenschaften Schweiz), steht der Klimaschutz allerdings noch immer hoch in der politischen Agenda.

Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den Klimawandel hat und ob man allfällige Parallelen zwischen den beiden Krisen erkennen kann, wollte ich anhand von zwei Interviews mit Marcel Gauch und Urs Neu herausfinden.

Frage 1: «Pandemie bremst Klimawandel – Corona nützt immerhin der Umwelt» – sind Sie mit dieser Schlagzeile der Tageszeitung Blick einverstanden?

Marcel Gauch: «Die Aussage ist vielleicht etwas blöd formuliert – aber ja, die Klimaprobleme werden entlastet im Moment. Die derzeitig positive Wirkung auf die Umwelt ist durch die drastisch verringerte Emission im Verkehrsbereich. Bleibt dies nur für kurze Zeit so, wird man in Zukunft beim Klima keine grossen Veränderungen sehen.»

Urs Neu: «Das Bremsen des Klimawandels ist nur sehr gering, da die Reduktion der CO2-Emissionen nur vorübergehend und nicht sehr gross ist. Man muss bedenken, dass die stärkste Reduzierung im Luftverkehr stattfand, welcher weltweit nur etwa 2% der gesamten CO2-Emissionen ausmacht. Beim Klima wird man also kaum etwas merken, es sei denn es gäbe längerfristige Änderungen in der Gesellschaft. Was die Umwelt anbelangt, gibt es dagegen unmittelbar wahrnehmbare Änderungen bezüglich Luftverschmutzung und Lärm.»

Frage 2: In welchem Masse wird sich ein Rückgang der CO2-Emissionen während einigen Monaten auf den gesamten CO2-Gehalt in der Atmosphäre auswirken?

Marcel Gauch: «Da bin ich selbst gespannt. Im Moment sind wir etwa bei 420 ppm (parts per million) CO2 in der Atmosphäre. Bei Langzeitaufzeichnungen des Durchschnittswerts des CO2-Gehalts entstehen zackenförmige Bewegungen bei einer Kurve, die ständig ansteigt. Die Zacken stellen dabei die Sommer-Winter Differenz dar, da im Sommer mehr CO2 von den Pflanzen absorbiert wird. Auf dieser Kurve werden wahrscheinlich kleine Änderungen im Bereich von wenigen ppm sichtbar sein. Wenn wir zu den alten Gewohnheiten zurückgehen – das heisst gleich viel fliegen und konsumieren mit fossilen Treib- und Brennstoffen – wird es wieder genau gleich sein wie vorher. Erst wenn wir unser Verhalten auch längerfristig ändern, wird das einen sichtbaren Einfluss auf die CO2-Entwicklung haben.»

Urs Neu: «Vielleicht wird der Anstieg leicht gebremst, es gibt jedoch sicherlich keinen Rückgang. Auf einer Kurve wird man wahrscheinlich eine kleine Delle sehen. Auch wenn wir den Eindruck haben, dass alles vollständig lahmgelegt wurde, ist die Industrie zu einem grossen Teil weitergelaufen – oft einfach in kleinerem Masse. Was den CO2-Gehalt in der Atmosphäre anbelangt, spielt es eine Rolle, was in der ganzen Welt passiert. In vielen Ländern, die grosse CO2-Emissionen verursachen, wie z.B. China oder Indien, ist lange nicht viel passiert.»

Frage 3: Denken Sie, die Coronakrise hilft mit, der Regierung aufzuzeigen, dass der Temperaturanstieg ein wahres Problem ist und dringender Handlungsbedarf besteht?

 Marcel Gauch: «Man könnte aus der Coronakrise lernen, wenn man möchte. Wenn man sieht, wie die Partys wieder losgehen und die Leute ins alte Verhaltensmuster verfallen, bezweifle ich, dass dies so sein wird. Mit einschneidenden Massnahmen sind aber Dinge möglich, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Ich hoffe, dieses Realisieren der Macht der Politik führt dazu, dass man in Zukunft etwas mutiger ist und im Umweltbereich Beschlüsse durchsetzen kann, für die man sich vorher nicht getraut hätte. Es ist spekulativ, ob es durch den Temperaturanstieg in Zukunft mehr Pandemien geben wird. Vielleicht erreicht aber die vage Vision, dass dies so sein könnte, mehr Vorsicht und Mut auf politischer Ebene. Das wahre Problem am Klimawandel ist brutal gesagt, dass er zu langsam tötet. Viele lenken sich mit Erklärungen ab, um weitermachen zu können, wie gewohnt.»

Urs Neu: «Es ist nicht direkt aus der Coronakrise ableitbar, dass der Klimawandel ein Problem ist. Wenn man den Zeithorizont berücksichtigt, kann man die Situation des Coronavirus jedoch auf den Klimawandel umlegen. Man sieht, dass es wichtig ist, sich vorzubereiten und vorausschauend zu handeln. Einige Länder haben das Problem zuerst weggeredet und erst gehandelt, als grosse Schäden ersichtlich wurden, was schlussendlich zu grösseren Schäden führte. Der Druck auf die Politik ist in den letzten Jahren gewachsen, sei es durch die Klimajugend oder durch spürbare Auswirkungen, wie vermehrte Trockenperioden und Hitzewellen. Das Bewusstsein ist dementsprechend grösser geworden. Weil man in der Klimaangelegenheit mehr Zeit hat, kann man vieles tun – auch ohne eine Stilllegung der Wirtschaft. Es geht darum, einen Umbau vorzunehmen und auf erneuerbare Energien zu wechseln. Wir müssen die Zeit nutzen und nicht erst handeln, wenn es zu spät ist.»

Frage 4: Kann es sein, dass die Klimaforschung in den nächsten Jahren minimiert werden muss, da nicht genügend Forschungsgelder verfügbar sein werden?

Marcel Gauch: «Ich denke, es gibt beide Strömungen. Die Wirtschaftsvertreter*innen versuchen wohl das Maximum an Nutzen für sich herauszuziehen. Die Mächte der ökologischen Seite werden argumentieren, man sehe jetzt, wie es funktioniert. Mit etwas mehr Mut und Geld kann man mehr herausholen, als man bis jetzt dachte. Wer von beiden gewinnen wird, weiss ich nicht – üblicherweise gewinnt immer die Wirtschaft. Leider stimmen viele Bürger*innen aus Angst vor dem Neuen lieber für das Altbewährte. Ich habe viele Erwartungen an junge Leute, die sich nicht von alten Ängsten beeinflussen lassen und nicht denken, alles gehe den Bach hinunter, wenn die Wirtschaft nicht funktioniert. Damit die Wirtschaft stabil funktionieren kann, braucht sie ein beständiges Umfeld, das man nur bei stabilen klimatischen Bedingungen hat. Sonst gibt es viel teurere Langzeitschäden, als ein vermeintlicher Wirtschaftseinbruch. Wer in diesem Punkt recht hat, ist eine persönliche Haltung, die sich aber durch Informationen, Aufklärung und Schulung fördern lässt. Ich denke, langfristig wird sich eine ökologischere Wirtschaft durchsetzen. Man wird erkennen, dass Umweltschutz auf längere Zeit betrachtet Pro Wirtschaft ist.»

Urs Neu: «Das denke ich nicht. Grosse Teile der Klimaforschung werden von Universitäten finanziert. Es gibt keine Anzeichen, dass in der Forschung gespart werden soll. Darüber hinaus wissen wir im Prinzip genug über den Klimawandel und das, was wir tun sollten. Die Forschung ist nicht mehr entscheidend, ob wir nun handeln oder nicht.»

Frage 5: Sehen Sie eine Gefahr darin, dass gewisse Menschen durch die aktuell verminderte Luft- und Umweltverschmutzung denken könnten, das Klima habe sich schon wieder erholt?

Marcel Gauch: «Ja, da habe ich etwas Angst davor. Es gibt wieder beide Aspekte: Die einen werden den Klimawandel nicht mehr als kritisch betrachten, da sich in zwei Monaten “schon so vieles gebessert hat”. Andere werden dagegen argumentieren, es sei beeindruckend, was möglich ist. Ich weiss nicht, was die Mehrheit sein wird, aber es gibt mit Sicherheit beide Betrachtungsweisen.»

Urs Neu: «Klima und Luftverschmutzung sind zwei verschiedene Dinge. Die Luftverschmutzung ist etwas Kurzfristiges, in vielen Dingen lokales, das sich auf die Gesundheit auswirkt. Beim Klimawandel geht es um Trockenheit, Hitze und Überschwemmungen. Ich denke, die Menschen sind sich dessen bewusst. Der Lockdown hat uns allerdings gezeigt, wie das Leben mit weniger Luftverschmutzung und Lärm ist. Zu sehen, was wir normalerweise alles in Kauf nehmen, kann sehr lehrreich sein.»

Frage 6: Die internationale UNO-Konferenz zum Klimawandel wurde verschoben. Könnte dasselbe nun auch mit den Bemühungen der Länder, sich im Klimaschutz zu verbessern, geschehen?

 Marcel Gauch: «Der Effekt der Klimakonferenzen war in den letzten Jahren immer sehr bescheiden. Zehntausende treffen sich und fliegen. Es wird keine Folgen haben, wenn man eine Konferenz auslässt. Vielleicht hat das Erkennen, welche Konsequenzen ein verringerter Öl- und Treibstoffkonsum intern hat, grössere Auswirkungen. Die Stilllegung der Wirtschaft zog nicht so grosse Folgen mit sich, wie angenommen. Diese Aspekte motivieren eventuell eher für Eigenverantwortung in den Ländern. »

Urs Neu: «Es kann sein, dass gewisse Massnahmen aus wirtschaftlichen Gründen verschoben werden. Man hätte das erwarten können, doch es zeigt sich, dass das Klima noch immer einen hohen Rang in der Politik hat. In der Schweiz wurde die Revision des CO2-Gesetzes beraten, wo relativ starke Massnahmen beschlossen wurden. Auch in der EU wurden mit dem European Green Deal klare Vorschriften gesetzt. Das Thema ist durch das Virus nicht in den Hintergrund getreten.»

Frage 7: Was halten Sie von der Aussage, man könne von der Corona-Krise etwas für den Klimaschutz lernen?

 Marcel Gauch: «Ja, ganz bestimmt. Man sieht die globalen Auswirkungen, wenn praktisch nicht mehr geflogen wird. Das führt bestimmt zu einer besseren Definition des anthropogenen, also des menschengemachten, Anteils an COin der Atmosphäre. Man wird Klimawandel-Skeptiker*innen klarere Beweise geben können. Geschichtlich gesehen ist diese Zeit mit reduziertem Betrieb jedoch ein Wimpernschlag. Man muss auch bedenken, dass viele Betriebe normal weitergeführt wurden. Aber die Tatsache, dass kleine Umstellungen schon solche Konsequenzen hatten, hilft vielleicht, schreiende Leugner*innen ruhig zu stellen. Man sieht zudem eindeutig, was man mit Massnahmen alles erreichen kann.»

 Urs Neu: «Ja, das stimmt schon, auch wenn man beides nicht direkt miteinander vergleichen kann. Der Zeithorizont ist ein ganz anderer und bei Corona kann man durch lokales Handeln viel mehr erreichen. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass eine gute Vorbereitung und die Nutzung der Zeit sich lohnt. Beim Klima braucht es keinen Lockdown. Die Wirtschaft muss krisenresistenter werden und sich auf den Klimawandel vorbereiten. Wenn man sich innert kurzer Zeit umstellt und überstürzt handeln muss, wird das sehr teuer. Wie man sieht, hat das riesige globale Verkehrsvolumen, das auch wesentlich zum Klimawandel beiträgt, noch andere negative Folgen – wie eben die Verbreitung von Krankheiten. Die Coronakrise zeigt, dass es Sinn macht, international zusammen zu arbeiten. Des Weiteren lernt man, dass ausscherende Länder der Weltgemeinschaft schaden. Diejenigen, die nicht kooperieren, erleiden selbst auch Nachteile. In Ländern, in denen die Pandemie stark ist, darf die Bevölkerung zum Beispiel nicht mehr reisen. Insgesamt habe ich die Hoffnung, dass das Klimabewusstsein durch diese Zeit eher etwas besser geworden ist als schlechter.»

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