Der letzte Tag ist da! Hoffentlich ein Tag, den ihr alle geniesst. Mit viel Film-Schauen, Guetzli-Essen, Plaudern, Spielen und spannendem Zuhören! Vielleicht mögt ihr euren Zuhörer*innen ja diese kleine Weihnachtsgeschichte vorlesen?
Ein leerer Platz
Die Wurzeln seiner Familie reichen tief und weit nach Schlesien. Wenngleich er selbst keinen Kontakt mit diesem Zweig seiner Verwandtschaft hatte, packte ihn irgendwann die Neugier. Also kam er einem schon vor langer Zeit ausgesprochenen Wunsch nach und folgte einer Einladung zum Weihnachtsfest. Der Empfang war herzlich, obwohl oder – wie
er später lernte – gerade weil er im Grunde ein Fremder war. Zwar beherrschte er weder die Sprache noch die Bräuche, aber mit Händen, Füßen und viel Lachen fanden sie doch ein Auskommen.
Als schließlich der Weihnachtsabend gekommen war und er sich an den gedeckten Tisch setzte, bemerkte er ein auffallend reiches, aber herrenloses Gedeck. Er zählte die anwesenden Gäste und Gastgeber noch einmal nach, stellte aber fest, dass es, selbst als der erste Gang bereits aufgetragen war, unbenutzt blieb. Da eine ebenfalls von Ferne angereiste Freundin der Familie und er schon in den Tagen zuvor ein Auge aufeinander geworfen hatten, wollte er ihr eine Freude bereiten und nutzte einen Moment ihrer Abwesenheit, um ihr Gedeck gegen das weit kostbarere auszutauschen. Von diesem Augenblick
an wirkte die allgemeine Stimmung seltsam gedrückt. Erst am nächsten Morgen erklärte man ihm versöhnlich, der Platz sei nicht leer gewesen, sondern mit all jenen besetzt, die noch kommen könnten, nicht kommen können oder einen Stuhl an der Tafel
verdienten. Das Gedeck sei wichtiger als alle anderen.
Seither gelten seine Gedanken und Wünsche an Weihnachten
vor allem jenen, die nicht mit uns feiern.