Überraschungstext: Eine Kolumne.
Das Phänomen hat viele Namen: Maturaarbeit, Maturapaper, miis Baby, MA, das blöde Paper oder “das, dessen Name nicht genannt werden darf”… Diese Kolumne beleuchtet, wie wild die Hetzjagd um die Abschlussarbeit sein kann.
Vor den Sommerferien: Ganz enthusiastisch gebe ich mein Grobkonzept ab. Jetzt werden alle sehen, was in mir steckt: ich erfinde ein echtes Perpetuum Mobile, designe das Baseballcap, das jedem Menschen auf der Welt gut steht und analysiere alle 72 Bände von Naruto! Ich bin optimistisch und freue mich. Meine MA werde ich bestimmt in den Herbstferien zu Ende geschrieben haben.
September: Das erste Treffen mit meinem Betreuer. Ich erzähle ihm, dass ich zur Vorbereitung eine Doku über Kinetik in der Physik und eine über Coco Chanel angeschaut habe. Der Betreuer hebt eine Augenbraue. Ganz weit hoch zieht er sie. Dann fragt er mich, in welche Kapitel ich meine Arbeit einteilen möchte. Ich hab keine Ahnung… muss man das schon wissen? Da fällt es mir ein. Ganz stolz sage ich: “Meine Arbeit wird wie folgt gegliedert: Einleitung, Hauptteil, Schluss!” Ich strahle den entsetzten Lehrer an.
Herbstferien: Nun wird es aber wirklich Zeit, dass ich anfange, mein Genie auf Papier zu bringen. Ich bin schon ganz nervös, weil mein bester Freund bereits drei Kapitel bei seiner Betreuerin eingereicht hat. Ich fange an zu tippen. Mache mir einen Tee. Suche ein Bild für das Titelblatt. Mir ist kalt. Ich hole eine Jacke. Die Einleitung ist fertig: “Ich habe das Thema gewählt, weil es sehr interessant, heute noch höchst relevant und ausserdem sehr wenig erforscht ist.” Da fällt mir ein, dass ich die Arbeit ja auf Englisch schreiben soll. Ich gehe auf deepl.com. Ich und deepl, deepl und ich, wir werden gute Freunde.
November: Ich will gar nicht an den Dezember denken. Prüfungsphase – seufz. Darauf muss ich mich mental und emotional vorbereiten. Keine Zeit für mein Paper.
Eine Woche bis zu den Weihnachtsferien: “Was? Deine Betreuerin will die Arbeit diesen Freitag schon haben? Ah, sie liest sie durch und gibt Tipps? Gute Idee.” So läuft das also bei meiner Freundin. Ich glaube ich sollte auch nochmals ein Treffen mit meinem Betreuer machen. Gleich nach den Ferien.
Anfang Januar: Okay. Ganz ruhig; ich habe noch einen ganzen Monat Zeit. Die gestrige Krisensitzung mit meinem Betreuer war eigentlich auch okay. Er meinte, wenn ich das zweite Kapitel um die Hälfte kürze, dafür noch einen tabellarischen Vergleich einfüge, bei meiner Schlussfolgerung auch noch auf die These eingehe und vielleicht noch eine 8-seitige Erklärung schreibe, dann geht’s…
Einen Tag später: Wieso stresse ich eigentlich so? Ist doch alles easy!
Eine Woche später. Zwei Wochen bis zu den Sportferien: Was durch meine Adern fliesst, ist entweder Kaffee oder Energy Drink, ich weiss es nicht so genau. Ich habe gemerkt, dass ich in der Schule immer noch voll leistungsfähig bin, obwohl ich seit vier Tagen jede Nacht etwa 4 Stunden geschlafen habe. Ausser wir müssen lesen. Lesen ist keine gute Idee, da fallen mir nämlich immer die Augen zu. Dafür kann ich – wahrscheinlich – heute Abend die Maturaarbeit zu Ende schreiben.
Letzte Woche vor den Sportferien: Heute in Mathe war’s voll lustig. Weil wir nur 11 statt 25 in der Lektion waren, haben wir Kopfrechen-Fussball gespielt. Mein bester Freund (der, der im Herbst schon “fast fertig” war) schickt mir fünf Seiten seiner Arbeit zum Korrekturlesen, nachdem er heute “krank” war. Jetzt stehe ich vor der Loch-und-Bindemaschine in der Bibliothek. Die Schülerin, welche diese gerade noch benutzt, dreht sich kurz zu mir um und deutet dann auf eine Liste… Ich gehe näher heran und sehe, dass man sich dort eintragen und dann warten muss, bis man an der Reihe ist. Ich schreibe meinen Namen hin. Vor meinem stehen noch sechs andere.
Abgabetermin: Die Maturaarbeit ist gedruckt und wunderschön. Na hoffentlich auch, denn das Drucken war schweineteuer. Feierlich, wie in Slow Motion schreite ich zum Rittersaal, wo die Abgabe stattfindet. Ich trage mein MA-Baby (ist es nicht das niedlichste, was ihr je gesehen habt) wie eine heilige, antike Schriftrolle vor mir her, präsentiere sie stolz. Meine Unterschrift auf die letzte Seite, der Stempel knallt darunter – endlich bin ich das Mistding los!