Ein Artikel von Samuel Diggelmann und Paula Stöckli
Während wir in Geschichte über die Nazi-Ideologie sprechen, versuchen wir in Geografie vergeblich eine Grafik über Bevölkerungswachstum zu analysieren. Doch fehlt uns Schüler*innen dazu das geschichtliche Hintergrundwissen über Ereignisse wie Hungersnöte und Babybooms, welche die Bevölkerung schrumpfen beziehungsweise stark wachsen liessen.
Wir haben uns Gedanken über das „Denken in Systemen“ gemacht. Das heisst, dass man fächerübergreifend denkt und Probleme in ganzen Systemen betrachtet. Drei Lehrer haben sich dazu bereiterklärt, ihre Meinungen uns gegenüber zu äussern. Martin Rotta ist Geografielehrer an der Kanti und zudem Präsident des Schulentwicklungsteams. Flavian Züger ist Geschichts- und Englischlehrer an unserer Schule. Michael Näf ist Prorektor und unterrichtet Biologie.
Wie wichtig ist das „Denken in Systemen“ in Ihrem Fach?
M. Rotta: „Das Denken in Systemen ist eminent wichtig. Betrachten wir den Zusammenhang zwischen Regenwaldabholzung und Lebensmitteleinkauf: Wer lediglich isolierte Fakten auswendig lernt, hat keine Chance global bewusst Verantwortung wahrzunehmen, wenn sie / er zum Produkt greift, das billiges Palmöl enthält oder Fleisch enthält welches mit billigem Futter aus dem Ausland erzeugt wurde.“
F. Züger: „Systemisches Denken spielt im Geschichtsunterricht eine zentrale Rolle. Ein gutes Beispiel dafür ist das Thema «Bevölkerungsentwicklung». Hier stehen Erfindungen, Seuchen, Kriege aber auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in unmittelbarem Zusammenhang zur Veränderung der Bevölkerungszahl.“
M. Näf: „Im Fach Biologie ist das sehr zentral. Innerhalb der Biologie betrachtet man zum Beispiel die Anatomie des Menschen in Systemen, also das Verdauungssystem oder das Nervensystem. In Themen wie Ökologie oder Ökosystemen ist es fast unmöglich, nicht in Systemen zu denken.“
Wo gibt es Berührungspunkte mit anderen Fächern? Mit welchen?
M. Rotta: „Ohne das Verständnis aus den Fächern Physik, Chemie und Biologie ist es unmöglich z.B. den Klimawandel zu begreifen. Der Beitrag der Geografie ist hierbei, dass man Wissen anwenden kann, um praxistaugliche, übergreifende Lösungsbeiträge zu finden.“
F. Züger: „Im Fach Geschichte bietet sich die Zusammenarbeit mit vielen Fächern an. Ich denke da vor allem an Wirtschaft, Geografie, Kunst, Musik, Philosophie und Religion.“
M. Näf: „Offensichtliche Berührungspunkte treten in den anderen naturwissenschaftlichen Fächern auf. Weniger offensichtlich sind Berührungspunkte mit Philosophie und Geschichte zum Beispiel im Bezug auf die Evolutionstheorie.“
Welche fächerübergreifenden Angebote gibt es bereits?
M. Rotta: „Das EF Nachhaltigkeit ist ein gemeinsames Angebot der Fachschaften Biologie, Chemie und Geografie, wobei die Note im Maturazeugnis unter dem Fach Geografie erscheint. Persönlich bin ich fast schon ein wenig stolz da mit dabei zu sein.“
F. Züger: „Es gibt nur wenige Angebote. Meistens entstehen Ideen für eine Zusammenarbeit aus eigener Initiative. Ich erinnere mich an ein Projekt mit einer Kollegin aus dem Fachbereich Englisch. Wir haben in einer bilingualen Klasse ein Team-Teaching Projekt angerissen und umgesetzt.“
M. Näf: „Wenige, das EF Nachhaltigkeit. Deutsch in allen Fächern ist ein solches Projekt, welches ich mit einer Klasse durchgeführt habe. Die Arbeit bestand aus einem naturwissenschaftlichen Bericht, welcher von einer Deutschlehrperson aus sprachlicher Sicht und von mir aus inhaltlicher Sicht korrigiert wurde.“
Finden Sie, das reicht? Wo sehen Sie Potential für mögliche fächerübergreifende Projekte?
M. Rotta: „ Nein. Zum Beispiel in einer zusätzlichen BU die explizit dafür eingerichtet wird. Oder mit einem Modell ähnlich dem „Lektionenpool“ am Gymnasium Münchenstein in Basel, wo etwa das Thema Ernährung von Lehrpersonen aus der Biologie, Geografie und Chemie gemeinsam unterrichtet wird. Wir Geografen könnten zum Beispiel auch zusammen mit der Physik der Frage zum Fliegen ohne fossiles Kerosin auf den Grund gehen.“
F. Züger: „Jede Lehrperson in der Fachgruppe Geschichte spezialisiert sich auf gewisse Themengebiete. Der Lehrplan im Fach Geschichte gibt den Lehrerinnen und Lehrern nur wenige Vorgaben. Dies bietet den Lehrpersonen die Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern das mitzugeben, wofür sie brennen. Hier müsste man ansetzten. Hier findet sich immenses Potential für fächerübergreifende Projekte.“
M. Näf: „Nein. Projektwochen wie die BU könnten da einen Beitrag leisten. Zudem soll in Zukunft das politische System der Schweiz präsenter sein. Momentan ist das vor allem in Geschichte und Wirtschaft so, allerdings noch zu wenig verankert.“
Was steht weiteren Angeboten im Wege?
M. Rotta: „Das schweizweite System (MAR, also das Maturitätsanerkennungsreglement). Zudem ist unklar, was es für Auswirkungen mit sich bringen würde, die Schule so umzukrempeln.“
F. Züger: „ Der grosse Aufwand bei der Planung und Unterrichtsvorbereitung erklärt teilweise den Mangel an Angeboten. Das Haupthindernis ist das System. Es müssten Gefässe für solche Projekte geschaffen werden. Im Rahmen des Gymnasiums der Zukunft könnte auch hier eine solche Vision angegangen werden.“
M. Näf: „Es scheitert im Alltag. Der Zeitaufwand ist sehr gross. Zudem sind solche Projekte im Lehrplan nicht vorgesehen und somit könnte der Lehrplan nicht durchgeführt werden.“
Die Meinungen der befragten Lehrer ist klar. Kann man nicht fächer- und themenübergreifend denken und agieren, so ist auch das Angehen von Problemen in der heutigen Zeit, wie die grosse Problematik zum Klimawandel, beinahe unmöglich.
Bildquelle: https://www.maturanavigator.ch/gymnasium/gymnasium/schulortefototour/kantonsschule-am-burggraben/