Vor den Abgründen der Diktatur – Ein Bericht über unsere Reise ins KZ

Vergangenes Wochenende waren einige Viertklässler*innen der KSBG auf Exkursion in München und Dachau. Dort offenbarten sich ihnen Hitlers diktatorische Hinterhältigkeiten mal etwas näher als im herkömmlichen Geschichtsunterricht.

Ein Bericht von Vera Oberholzer.

Freitagmittag, 12.11.21 um 12:10 Uhr:

Gerade hat die Schulglocke, munter wie immer, unsere ersehnte Mittagspause eingeläutet. Die Schülerinnen und Schüler der Kanti am Burggraben beginnen, die Gänge des Hauses zu fluten. Während sich die einen etwas verloren nach ihren Freund*innen umsehen und überlegen, was es für sie heute zu Mittag geben könnte, steuern einzelne andere zügig den Haupteingang an. Als ich nach draussen auf den Vorplatz trete – ich bin heute ausnahmsweise eine dieser Zielstrebigen – erwartet mich dort schon ein doppelstöckiger Car. Ein Blick auf die Uhr verrät: In fünf Minuten geht’s auf nach München!

Feldherrnhalle in München

Wenige Stunden später zieht unsere fast 60-köpfige Truppe durch die Stadt, in der Adolf Hitler sein räudiges Unwesen trieb. Mit dem Umzug nach München, den er vor gut 100 Jahren vollzog, fing alles an. Es war der Anfang des Endes unzähliger jüdischen, homosexuellen, immigrierten und viel zu vieler weiteren sogenannten „asozialen“ Menschen, die damals im Deutschen Reich lebten. Wir kennen sie alle, die Geschichte des Holocaust. Im NS-Dokumentationszentrum, welches wir an diesem Abend als Erstes besuchen, wird uns dieses folgenschwer prägende Ereignis nochmals bis ins Detail erzählt, wobei wir auch viel Neues dazulernen können. Dass Hitler ursprünglich Postkartenmaler war, beispielsweise, ist für einige von uns neu. „Ach, wäre er doch nur bei diesem Beruf geblieben!“ Unsere Museumsführerin verfügt nicht nur über eine Menge geschichtliches Wissen; sie hat auch Humor.

NS-Dokumentationszentrum in München

Während der Besichtigung fällt mir auf, dass er (leider) ein ganz schöner Glückspilz war, dieser nicht mal ansatzmässig arisch-aussehende Antisemit mit Schnauzbart. Ich kann seinen Namen nicht mehr hören. So ging es wohl auch Georg Elser, der 1939 im Münchner Bürgerbräukeller wagemutig ein Sprengstoffattentat auf Adolf (erlauben Sie mir, ihn zu duzen) ausführen wollte. Der Anschlag scheiterte knapp: Adolf hatte den Keller wegen des schlechten Wetters vorzeitig verlassen müssen, um den Zug zu erwischen, welchen er anstelle des ursprünglich angepeilten Flugzeugs nahm. Zum Zeitpunkt der Explosion, die natürlich trotzdem wie geplant stattfand, war er nicht mehr im Gebäude. Stattdessen verunfallten Dutzende andere Menschen, acht davon tödlich. Wir staunen und schütteln gleichzeitig unsere Köpfe. Herr Elser (ihn sieze dafür etwas lieber) war nicht der einzig Mutige, der sich den Nazis in den Weg stellte und später dafür gar teuer mit seinem Leben bezahlen musste. Die „Weisse Rose“, eine Widerstandsgruppe, deren Kern aus jungen Student*innen bestand, versuchte vier Jahre nach Elser der Katastrophe ein Ende zu setzen – vergebens.

Georg Elser, sowie Sophie Scholl und die „Weisse Rose“ gehörten zu den wenigen Mutigen, die Widerstand leisteten.

Samstagvormittag, 13.11.21 um circa 09:00 Uhr:

Wir befinden uns an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es ist ziemlich ruhig in der grossen Eingangshalle. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die gerade lieber wortlos über die Courage Sophie Scholls und ihrer Verbündeten staunen möchte, als zu schwatzen. Es gibt nicht viel zu reden; ausser wenn hin und wieder eine Frage an unsere Lehrpersonen aufkommt. Die Flugblätteraktion der „Weißen Rose“ fand ich schon im Geschichtsunterricht hochspannend, aber selber an dem Ort zu sein, wo sie damals durch die Luft schwebten, sinkt noch ein Stückchen tiefer.

Auf dem Boden vor der Universität kann man sich die Flugblätter der „Weißen Rose“ noch etwas genauer ansehen.

Samstagnachmittag, 13.11.21 um circa 14:00 Uhr:

Dieser Ausflug nach München, wird mir ein weiteres Mal bewusst, ist gar keine leichte Kost – eine Gedankenreise der wilden Art. Aufgewühlt, aber wieder ohne grossen Wortwechsel, ziehen wir seit einer knappen Stunde in Gruppen über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachaus. Unsere Begleiterin erzählt uns auf authentische und spannende Weise von der Tragödie, die sich hier einst abgespielte. Ich bin beeindruckt und entrüstet zugleich. Dass es traurig werden würde auf dieser Exkursion, habe ich ja schon geahnt, aber auf derart nahegehende Blicke zurück in die erschütternde Historie habe ich mich dann doch nicht eingestellt. Wir sehen, wo damals die Häftlinge schliefen, wenn sie dafür denn genügend Platz fanden in den viel zu knapp bemessenen Baracken; wir dürfen die alten Gaskammern betreten, in denen sie dem Nationalsozialismus auf gewaltsamste Weise zum Opfer fielen, und besichtigen den Ort, an dem früher ein Lagerbordell stand. So viele Eindrücke.

Die ehemaligen Gaskammern darf man als Besucher*in der KZ- Gedenkstätte sogar betreten.

Die Zeit vergeht viel zu schnell. Gerade, als ich mich etwa zur Hälfte durch die Museumsausstellung geforstet habe, welche ebenfalls auf dem ehemaligen KZ-Gelände zu finden ist, fällt mir auf, dass die Entdeckungsreise hier leider schon zu Ende geht. Gemeinsam mit meinen Mitschüler*innen verlasse ich eilig das Museum und mache mich auf den Weg zum Car, der uns zurück nach St.Gallen bringen soll. Vor dem Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ bleiben wir aber dennoch kurz stehen. Aufgrund eines Diebstahls war es interessanterweise zwischenzeitlich nicht an seinem Platz hier zu finden. Laut Bayerns Kultusminister Dr. Ludwig Spänle „stand und steht es für die Erniedrigung jedes einzelnen Menschen und weiter Teile der Gesellschaft durch die NS-Diktatur“. „Schön, ist es wieder hier“, da sind meine Kolleg*innen und ich uns einig. Und ausserdem finde ich: Schön, waren wir hier. Der Ausflug in die Diktatur hat sich ironischerweise mehr als gelohnt.

 

Quellenangaben

Zitat Spaenle: https://wk.bayern.de/kunst-und-kultur/meldung/4985/gestohlenes-tor-kehrt-nach-dachau-zurueck.html

Beitragsbild: https://www.br.de/nachrichten/bayern/nach-kritik-an-kz-gedenkstaette-dachau-stiftung-laedt-biden-ein,SMXuLR8

Bild Feldherrnhalle: https://www.fotocommunity.de/photo/feldherrnhalle-muenchen-michael-baier/25721424

Bild NS-Dokumentationszentrum: https://www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/en/press/press-images/

Bild Georg Elser: https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article202947518/Georg-Elser-Seine-Bombe-gegen-Hitler-explodierte-puenktlich-13-Minuten-zu-spaet.html

Bild Sophie Scholl: https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article202947518/Georg-Elser-Seine-Bombe-gegen-Hitler-explodierte-puenktlich-13-Minuten-zu-spaet.html

Bild Weisse Rose: https://taz.de/Letzte-Ueberlebende-der-Weissen-Rose/!5589549/

Bild Gaskammer: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Gaskammer_innen.jpg