Mein zweiter Versuch an der Philosophieolympiade

Ich habe letztes Jahr versucht, in das Finale der Schweizer Philosophieolympiade einzuziehen. Es hat leider nicht funktioniert, darum versuchte ich es jetzt noch einmal.

Meine Chancen standen besser als das letzte Jahr, da ich ein Heimspiel hatte. Statt wie letztes Jahr um 5 Uhr aufstehen zu müssen, um pünktlich in Fribourg zu erscheinen, musste ich nun erst um 10 Uhr an der KSBG auftauchen. Leider ging dieser Vorteil verloren, da ich bereits um 2 Uhr morgens erwachte und mein Geist bis 8 Uhr in einem Zustand unruhiger Müdigkeit vor sich hindümpelte.

Es war schön, alte Bekannte zu sehen. Einer, den ich das letzte Mal in Fribourg getroffen hatte, tauchte wieder auf, obwohl er schon damals den Bronzepreis im Finale gewonnen hatte. Die Existenz solcher Menschen ist ein Hindernis für das menschliche Glück, vor allem von meinem, und verdirbt die Erfolgschancen der anderen, vor allem meine.

Die Aufsätze sollten mit dem Safe-Exam-Browser geschrieben werden, was aus meiner Sicht eine grosse Beschränkung der menschlichen Kreativität war, da zwei wesentliche Funktionen verhindert wurden: Copy-Paste und die Rechtschreibkorrektur. Es war dann ein wunderbarer Glücksfall, als ich erfuhr, dass es Probleme mit der App gab, die das Schreiben unseres Aufsatzes verhinderten, und zu der Entscheidung führten, dass wir die Aufsätze doch noch mit Word schreiben durften.

Zum Schreiben des Aufsatzes hatten wir zwei Stunden Zeit. 120 Minuten sind zwar eine lange Zeit, aber für das Schreiben eines Philosophieaufsatzes – ein intensiver Gehirnsport! – sind die 7200 Sekunden doch eine sehr enge Grenze. Sobald die Zeit um war, mussten wir mit dem Schreiben aufhören, egal ob man den Satz nun fertiggeschrieben hatte oder nicht. Wenn meine Klasse eine solche kurze und strenge Zeitbeschränkung bei einer Geschichtsprüfung hätte, wäre der Schnitt bestimmt eine Drei.

Das Schreiben meines Aufsatzes war der bis anhin schrecklichste Moment meines Lebens. Obwohl viele Gedanken in meinem Gehirn aufploppten, viele davon brillant und kreativ, gelang es mir nicht, eine vollständig in sich kohärente Idee auf den Bildschirm zu bringen. Ich bemerkte, dass nicht nur der Zusammenhang zwischen den einzelnen Absätzen vollständig fehlte, auch die Inhalte meiner Argumente waren voneinander unabhängig und jeder Absatz kämpfte erfolglos für sich selbst. Je mehr ich schrieb, desto mehr verlor ich den Überblick und desto tiefer sank ich in ein unsichtbares Netz aus Irrungen und Wirrungen. Ausserdem tickte unerbittlich die Uhr und mit jeder Ankündigung der verbleibenden Zeit wurde die unsichtbare Schlinge um meinen Hals enger. Als man nur noch 5 Minuten zur Verfügung, fühlte ich mich so machtlos wie noch nie in meinem Leben. Ich hatte etwas Ungeheuerliches erschaffen: einen Aufsatz ohne Einleitung, einen inkohärenten Hauptteil und ein in sich widersprüchliches Ende. Meine Hoffnung lag nur noch in der Gnade der unnahbaren Übermacht, die meinen Aufsatz korrigieren würde.

Als die Glocke klingelte und dadurch das Ende des Wettbewerbs signalisierte, wusste ich sofort, dass alles verloren war. Ich hatte meine letzte Chance für einen Einzug ins Finale eines internationalen Wettbewerbs vertan. Mein Nacken tat weh, mein Rücken schmerzte, mir war schwindlig, meine Zukunft war düster.